Washingtons Wolga–Weimar
Vorveröffentlichung De Bourgraafs Artikel. Horrorszenario eines „zweiten Weimars“? Wenn ja, klingt die Vokabel so vermessen wie „Europa“, wenn die Europäische Union gemeint wird. Die These wäre, dass sich seit dreißig Jahren ein „zweites Versailles“ anbahnt.
Synopsis
Pünktlich zum Beginn des Jahrhundertgedenkens zum Ersten Weltkrieg (2014–2019) haben die kriegerischen Auseinandersetzungen in und um die Ukraine begonnen. Anderthalb Jahre nach der Eskalation von 2022 meldeten sich amerikanische Wissenschaftler zurück in den Diskurs zu den Analogien zwischen der „ersten Nachkriegszeit“ und der postsowjetischen Ära. Dann Anders als bei russischen Kollegen wurde das Horrorszenario eines „Weimar/Russia“ (Diskursnamen, Mitte neunziger Jahre) von Hanson und Kopstein vielmehr an den Entwicklungen der Russischen Gesellschaft erkannt als an den tendenziell antirussischen Osterweiterungen des westlichen Militärbündnisses aus Kaltkriegszeiten. Nach gut 25 Jahren wird ihre spannende Selbstreflexion stärker von einem beängstigenden Unilateralismus geprägt. Von Westeuropa aus mischte De Bourgraaf im spannenden Diskurs vom Anfang an mit. Der neu aufgelegten These setzt er die Erweiterung auf einen „zweiten Bund von Versailles“ gegenüber.

Le «Weimar de la Volga» de Washington
Les conflits armés en et autour de l'Ukraine ont commencé juste à temps pour le début de la commémoration du centenaire de la Première Guerre mondiale (2014–2019). Un an et demi après l'escalade de 2022, des scientifiques américains ont fait leur retour dans le discours sur les analogies entre la «première période d'après-guerre» et l'ère post-soviétique. Contrairement à leurs collègues russes, Hanson und Kopstein ont bien plus reconnu le scénario catastrophe d'une "Russie de Weimar" (nom du discours) dans les développements de la Fédération de Russie que dans les extensions vers l'Est, tendanciellement antirusses, de l'alliance militaire occidentale du temps de la guerre froide. Après un peu plus de 25 ans, leur passionnante introspection est plus prononcée marquée par un unilatéralisme effrayant. De l'Europe occidentale, De Bourgraaf s'est engagé dès le début. A la thèse revisitée, il oppose l'élargissement à une «deuxième société de Versailles».
Einleitung
Am 10. und 11. November 2018 fand sich alle Welt in Paris ein. Sämtliche Regierungschefs und Staatsoberhäupter gedachten einträchtig dem hundertsten Jahrestag des Waffenstillstands von 1918. Da dessen Beendigung bzw. das Ende des Großen Krieges (1914–1919) bekanntlich durch den Abschluss des Versailler Vertrages erreicht wurde, schien es trotz der zeitlichen Nähe folgerichtig, sieben Monate später erneut die gemeinsame Erinnerung zu kultivieren und postkoloniales Geschichtsbewusstsein zu fördern. Die Feierlichkeiten vom 28. Juni 2019 wurden jedoch zu einem einseitig nationalen Ereignis der Erinnerungskultur. Am Centenaire-Tag des Vertrags und "Bundes von Versailles" gedachten auf Einladung der United States World War One Centennial Commission (WWICC), deren aufschlussreiche Podcasts zu den Pariser Geschehnissen von damals bis zum späten Herbst fortgesetzt wurden, an diesem historischen Ort ausschließlich Gäste des eigenen Landes. Im eigenen Haus zeichnete sich ganz Europa durch Abstinenz aus. Diese Anteillosigkeit wirft die Frage auf, was, die weit gereisten Anwesenden der WWICC-Party davon hielten.
Abgesehen von Bereichen wie Kultur macht es ohne Bezug auf Versailles keinen Sinn, die relativ kurzlebige Epoche der Weimarer Republik zu deuten und kritisieren. Dies gelte besonders dem spannenden Versuch, sie im zeitgenössischen Rahmen zu kontextualisieren. Die zentrale These dieses Artikels bezieht sich auf die Weimar/Russia debate. Wie es der Name sagt, wird ein Bündel Parallelen zwischen der achtzig bis hundert Jahre alten Geschichte und der Nachkriegsordnung von 1990‒1991 wahrgenommen. In diesem Artikel wird auseinandergesetzt, dass diese mittlerweile jahrzehntelange Debatte einerseits von vielen Akteuren gemieden und andererseits von einem extravertierten Unilaterismus geprägt wird. Wenn introspektive Erkenntnisse endlich mit einbezogen werden, scheint es unvermeidlich, eine Polemik herauszubilden. Welche Schlüsse lassen sich unter Betrachtung beider Seiten des klassischen Ost-Westfeldes ziehen? Die Wechselseitigkeit zwischen achtzig bis hundert Jahre alten Historien und den Gegenwartsentwicklungen bzw. der Politik der Stunde bildet einen wesentlichen Bestandteil der Methodik.
INHALT (7.200 Worte)
1. Historisch-politische Konzeptualisierung
2. Kontrapunkt
3. Die täuschende Zusammenarbeit von 9/11
4. Vorwarnung und Drohkulisse
5. Antithese: die Kritik eines zweiten „Bund von Versailles“
6. Zwischen Weimar und Versailles liegt der Weg nach Wien
Schlussfolgerung